Christiane Opitz, Palais für aktuelle Kunst, Glückstadt
Zur Ausstellung "Tatorte" im Kunstverein Schenefeld, September 2009
Es ist schwer, sich der seltsam melancholischen und bisweilen düsteren Stimmung der Bilder Inge Buschmanns zu entziehen. Verlassene Interieurs, Außenansichten auf ein Gebäude oder eine Umgebung oder der Blick auf ein rätselhaftes Detail sind Motive, die in der Malerei der in Hamburg und Australien lebenden Künstlerin zu sehen sind. Was vermittelt uns diesen Eindruck von Einsamkeit? Ist es die Abwesenheit von Menschen, wie in den meisten ihrer Arbeiten oder die ganz besondere Farbigkeit vieler Arbeiten? Ist es die unheimliche Lichtstimmung, die auf den Werken ihrer aktuellen Reihe - ihrer Tatorte - nur das Wichtigste erhellt und alles andere in tiefes Schwarz taucht? Möglicherweise ist es aber auch das, was man nicht sieht und der Fantasie des Betrachters überlassen wird.
Betrachten wir zunächst einmal Buschmanns Tatort 6. Hinter einem rot-weißen Absperrband, das ganz offensichtlich auf einen Tatort verweist, steht eine übergroße Straßenlaterne, die als einzige Lichtquelle das Szenario erhellt. Ein Haus wird im Lampenlicht sichtbar. Nur zwei grau-blaue Hauswände und einige Fenster... ein Dach ist nicht auszumachen. Vor dem Haus: Ein großer Busch, der die Fensterfront zum Teil verdeckt und einen Blick in das Innere des Gebäudes nicht zulässt. Bei einem erneuten Betrachten macht plötzlich die Lichtsituation stutzig: Es scheint, als wäre es die Laterne nicht allein, die hier Licht ins Dunkle bringt. Ist ihr relativ kleiner Lichtkegel, den man auf dem Boden sieht, wirklich in der Lage, das Haus in der Form auszuleuchten? Möglicherweise gibt es noch weitere Lichtquellen, die Buschmann aber nicht zeigt. Vielleicht einen Polizeischeinwerfer, der aus einiger Entfernung die Szenerie beleuchtet. Genauso rätselhaft bleibt, was in diesem Haus wohl geschehen sein mag. Warum kommt dieses Haus uns, den Betrachtern, bekannt vor? Erst der inoffizielle Titel dieser Arbeit bringt Klarheit: Fritzl lautet er. Zu sehen ist also jenes Haus im österreichischen Amstetten, das im letzten Frühjahr im Fokus der Weltöffentlichkeit stand, weil es 24 Jahre lang ein dunkles Geheimnis barg.
Lässt sich Buschmann also immer von realen Ereignissen inspirieren?
In Tatort 7 sehen wir einen jungen Mann ausgestreckt auf dem Boden liegen. Seine Haut ist blass. Er trägt einen dunklen Anzug, der seinen Unterleib im Schwarz des Hintergrunds verschwimmen lässt. Im Kontrast zur schlichten Erscheinung des Mannes stehen die auffällig gemusterte Wand und der Boden. Während der Teppich eine rot-beige Karostruktur aufweist, ist die Tapete in einem komplementären Grün gehalten. Ein unruhiges Zickzackmuster ist darauf zu sehen, das sich zur Bildmitte hin mit dem Schwarz des Hintergrunds vermischt. Hier offenbart sich eine auffällige stilistische Vorliebe Inge Buschmanns - ihr Interesse für farbenfrohe Muster und Strukturen. Sie sind es, die ihre erzählerischen Werke um eine abstrakte Komponente und ein ästhetisch anspruchsvolles Element bereichern. Oft stehen ihre ausgefallenen, fröhlichen Muster im krassen Gegensatz zur dargestellten Szene. In diesem Fall jedoch wirken Farben und Strukturen genauso verstörend wie der Anblick des Toten selbst. Es scheint, als unterstreiche die Künstlerin mit der von ihr gewählten aggressiven Farbigkeit die ungeheuerliche Tat, die sich hier ereignet haben mag. Doch ist hier wirklich jemand ermordetet worden? Wir können es nur vermuten. Vielleicht hat sich ja hier nur jemand zum Schlafen hingelegt.
So wie in ihrer Arbeit Dubai, mit der Buschmann den Betrachter bewusst in die Irre führt. Auf diesem Bild liegen zwei Gestalten auf einem wellengemusterten Teppich, dicht an einer dunklen Wand. Während die eine Gestalt komplett mit einer orangefarbenen Decke bedeckt ist, sind von der vorderen Person zumindest Füße und ein Hosenbein zu sehen. Am rechten Bildrand liegen zwei Koffer. Der Titel Tatorte, unter dem die Bilder hier im Kunstverein Schenefeld zu sehen sind, legt den Schluss nahe, dass es sich auch bei den hier dargestellten Menschen um Mordopfer handelt. Doch hier irrt der Betrachter. Tatsächlich zeigt diese Arbeit nämlich asiatische Wanderarbeiter, die auf dem Flughafen in Dubai auf ihren Abflug warten.
Was ist wahr? Und was Inszenierung? Welche Macht haben Bilder? Dieses sind Fragen, die Inge Buschmann beschäftigen. Sie bedient sich medialer Vorlagen, die sie aus dem Fernsehen, Zeitungen, Filmen und aus dem Internet aus ihrem Kontext holt und für ihre Malerei verwendet. Dabei werden die Vorlagen nicht etwa eins zu eins übernommen, sondern von der Künstlerin in ihrem eigenen, individuellen Duktus verfremdet. Oftmals durch leicht verschobene Größen und Perspektiven sowie durch den bereits erwähnten Einsatz von Farbe und Texturierung. Außerdem lässt die Künstlerin ihr unwichtig erscheinende Details aus der Vorlage beim Malen weg. So entstehen völlig neue Tatorte, die trotz künstlerischer überarbeitung nichts von ihrer unheimlichen Aura einbüssen.
Dass es nicht unbedingt Menschen braucht, um Einsamkeit und Unbehagen darzustellen, zeigen neben dem Fritzl-Haus u.a. die Werke Pathologie und Grüner Raum. Während in Grüner Raum die Anwesenheit von Menschen gänzlich fehlt und lediglich mit Licht und leeren Untersuchungstischen Stimmung erzeugt wird, ist in Pathologie eine indirekte menschliche Präsenz vorhanden. In einem grau gekachelten Raum zeichnen sich zwei Körper unter weißen Laken ab. Die Arbeit Tatort 5 (Leichentuch) ist sogar noch reduzierter - und vielleicht deshalb beunruhigender. In einem Lichtkegel liegt ein Körper, völlig bedeckt von einem weißen Tuch. Der Rest des Bildes ist schwarz.
Es mag verwundern, dass Buschmann, die seit 1995 immer eine Hälfte des Jahres im sonnigen australischen Byron Bay verbringt, sich derart düsteren Themen verschrieben hat. Naturdarstellungen und Landschaften tauchen in ihrem Werk so gut wie gar nicht auf. Wenn die Künstlerin Elemente aus der Natur - eine Hecke oder einen Strauch - verwendet, werden diese wie Teile einer Kulisse behandelt oder als willkommenes Muster in die Komposition integriert. Offensichtlich gelingt es der Künstlerin, sich unabhängig von ihrem aktuellen Aufenthaltsort auf ihre sehr klaren Bildräume zu konzentrieren. So entsteht ein Werk, dem nicht anzusehen ist, welche Arbeiten in Hamburg entstanden sind und welche in Australien. Das einzige Indiz für die Reisefreudigkeit der Künstlerin mögen Titel wie Heimweg, Abschied oder Unerwartete Rückkehr sein.
Inge Buschmann gelingt es, mit klar strukturierten Bildkompositionen Emotionen wie Einsamkeit, Melancholie und Unbehagen hervorzurufen. Sie kombiniert narrative Elemente mit abstrakten Formen. Oft fokussiert sie dabei auf Details, die aus größeren Zusammenhängen herausgenommen zu sein scheinen und denen sie einen Großteil des Bildraumes zugesteht. Nicht selten handelt es sich dabei um banale Gebrauchsgegenstände oder - wie in ihrer aktuellen Tatortserie - um mysteriöse Räume. Durch bewusstes Weglassen und veränderte Perspektiven öffnet die Künstlerin neue Interpretationsräume und stellt dem Betrachter Bühnen für eigene Ideen und Gedanken bereit.
(Gekürzte Version der Einführung)
Hamburg, September 2009